Ein Pionier-Projekt des Kreisverbandes der Obst- und Gartenbauvereine rettet bedrohte Lokalsorten vor dem Verschwinden - Broschüre nun erhältlich
Das Ziel des Projektes „Sortenerhalt“ ist die Erhaltung der seltenen, zum Teil vom Aussterben bedrohten alten Lokal- und Regionalsorten im Landkreis Reutlingen. Dazu wurde erstmalig eine Erhebung durchgeführt, die die Sortenvielfalt und die Verbreitung der Sorten auf Streuobstwiesen im Landkreis aufzeigt. Hierfür war wichtig, dass möglichst viele Bäume unter Angabe ihrer Sorte punktgenau kartiert werden. Das Besondere des Projektes ist es, dass die Bevölkerung zur Meldung „ihres“ Sortenwissens aufgerufen ist. Wir versammeln also das bestehende, tradierte Sortenwissen zu den lange bewährten Sorten. Ein fachkundiger Reiserschnitt soll von gefährdeten Bäumen Vermehrungsmaterial gewinnen. Das dient dann der Herstellung von neuen Bäumen derselben Sorte in einer Baumschule, um sie wieder zurück in die Landschaft zu pflanzen.
Alle Mitbürger mit Sortenwissen und Kenntnis über den Streuobstbau insbesondere die „Gütlesbesitzer“, aber vor allem die Mitglieder in den Obst und Gartenbauvereinen im Landkreis Reutlingen waren aufgerufen, die Standorte von alten und/oder seltenen Obstsorten mitzuteilen. Diese Datenerfassung konnte auf verschiedenen Wegen erfolgen je nachdem, über welche technischen Voraussetzungen und Möglichkeiten der Einzelne verfügte: handschriftlich auf Meldebögen, online auf der Internetseite des Projektes oder per Smartphone App. Abgefragt wurde neben Angaben zu Obstart und Sortenname auch eine Einstufung der Baumgesundheit und des Baumalters. Anhand dessen konnten Priorisierungen vorgenommen werden. Erkennbare Veredelungsstellen wurden abgefragt und Angaben zur Reifezeit, zur gezielten Erhebung von Fruchtproben.
Die Sortenmeldungen aus der Interneteingabe, aus der App-Kartierung und von den Meldebögen wurden an der Grünflächenberatungsstelle manuell in einer großen Tabelle zusammengeführt. Aufgrund der „Meldemöglichkeit für alle“ musste hier jede einzelne Meldung genau überprüft werden. Fehlerhafte oder lautmalerische Schreibweisen („Breddacher“) und anderslautende Namen/Synonyme der Sorten mussten an die pomologisch anerkannte Bezeichnung angeglichen werden. Erst nach der Namensaufbereitung konnte analysiert werden, wie viele Nennungen pro Sorte vorliegen. Diese Zahl reichte von einzelnen Meldungen gewisser Sorten bis hin zu weit über hundert Bäumen pro Sorte.
Der Datenbestand umfasste mit Stichtag 31.01.2019 insgesamt 5.177 Meldungen. Es können mit dieser Gesamtzahl 2,5% des Gesamtbestandes von geschätzten 200.000 Streuobstbäumen im Landkreis Reutlingen als erfasst gelten.
Besonders relevant für die Rettung vor dem Verschwinden sind die seltenen Nennungen. Die Meldungen mit lediglich 1-3 Bäumen pro Sorte wurden herausgefiltert. In einem ersten Schritt wurden sie mit verschiedenen Sortengärten abgeglichen, um zu überprüfen, ob diese Sorten woanders bereits gesichert sind. Dann wurde untersucht, ob sich Hinweise zur lokalen Bedeutung ergeben. Es wurde der Hintergrund der Sorten gesichtet, um die echten „Lokalsorten“ herauszufiltern. Dafür waren die Identifizierungen durch die Sortenbestimmung in Bavendorf wichtig, um zu klären, ob zu prüfende Sortenmeldungen eine eigenständige Sorte betreffen oder nur eine andere Benennung für eine anderswo verbreitete Sorte waren.
Als Nachweis und Bestätigung für die lokale Herkunft von Sorten diente neben der Sortenbestimmung über das KOB auch die Nutzung alter Quellen und mündliche Überlieferung alter Baumwarte.
In der Projektlaufzeit wurden von 17 Zielsorten Kernobst, also Apfel und Birne, Reiser geschnitten. Bei den Zielsorten im Bereich Steinobst, also Kirsche und Zwetschge, waren die Zustände der Bäume noch soweit gut, dass die Vermehrung hinten anstehen konnte. Diese Vermehrungen sollen im weiteren, nunmehr spendenfinanzierten Verlauf des Projektes durchgeführt werden. Die Priorisierung beim Reiserschnitt ergab sich neben den Auswertungen durch den Baumzustand. Manche Bäume waren akut am Absterben und zeigten damit den höchsten Handlungsbedarf. Die Mutterbäume für diese Sorten waren vom KOB per Fruchtprobe verifiziert. Ihr Standort war im Zuge der Fruchtproben-Erhebung durch das moderne GPS-Gerät in Dezimeter-Genauigkeit festgehalten worden. Diese Bäume waren damit zum Reiserschnitt im Winter wieder auffindbar.
Die Sorten wurden an der BaumschuleLeibssle/Reutlingenzu je 5 Bäumen pro Sorte vermehrt und sind inzwischen auf einem neu angelegten Sortenerhaltungs- und Reiserschnittgarten in Glems gepflanzt.
weitere wertvolle Sorten
Im Rahmen der Erhebung wurden auch viele geläufige wertvolle Lokalsorten genannt, die bereits in anderen Sortengärten wie dem Sortenerhaltungsgarten am Kompetenzzentrum Bavendorf (KOB) gesichert sind. Das ergab der Arbeitsschritt der Überprüfung der Lokalsorten. Dazu gehören (Sortensicherung in Klammern):
Eine Broschüre stellt auf 66 Seiten den Projektverlauf vor und präsentiert die bislang geretteten Sorten in Sortensteckbriefen. Denn das Ziel ist ja die Vermehrung der Sortenbestände durch Abgabe von Edelreisern. Und damit die Bewirtschafter um die Qualitäten der Sorten wissen, ist diese Broschüre gleichzeitig ein Sortenhandbuch.
Die gezielte Abgabe von Reisern wird voraussichtlich ab Winter 2021/22 möglich sein.
Kontakt zur Bestellung der Broschüre, (Schutzgebühr von 2,-€ kann nach Erhalt überwiesen werden):
Kreisamt für nachhaltige Entwicklung am Landratsamt Reutlingen
- Kreisfachberater für Obst- und Gartenbau -
Haydnstr. 5-7
72766 Reutlingen
Mail: gruenflaechenberatung@kreis-reutlingen.de
Tel. 07121 - 480 3327